> Test: Hymer Grand Canyon S

Großer Wohntest zum
noch größeren Fahrbericht

18.12.2019
Bild & Text: Andreas Güldenfuß

Die neue CamperVans-Ausgabe 1/2020 ist da! So viel zum Heft: Wir bringen wir den Hymer Grand Canyon S in der Allrad-Version im Offroad-Park ans Limit. Hier erfährst du alles über Ausbau & Camping im Hymer für Zwei!

Campervans auf Mercedes Sprinter. Die Älteren unter uns sehen sich schon mit Schleifpapier und Rostschutzlack hantieren. Ja, er wurde einerseits geliebt für seine Robustheit, andererseits gehasst für seine Rostanfälligkeit – wobei das eine, nämlich der Rost, mit viel Pflege in den Griff zu bekommen war – in meinem Sprinter war so viel Wachs versenkt, dass die Türen wie bei einem Maybach ins Schloss gefallen sind. Das war 2002, sozusagen schon das schicke, erste Facelift des 1995 vorgestellten Transporters. Die zweite Generation kam nach elf Jahren 2006  auf den Markt. Seit Mitte 2018 wird die dritte Generation, erstmals auch mit Frontantrieb, verkauft. Der Frontantrieb ist als Basis für einen Campervan aus zwei  Gesichtspunkten ganz  spannend: Erstens ist der Innenraum größer und zweitens der Frontantrieb rund 3.000 Euro günstiger.

Dennoch bauen nur sehr wenige auf dem im Innenraum acht Zentimeter höheren Frontantrieb – zumal die niedrigere  Ladekante zusätzlich das Aus- und Einsteigen erleichtern würde. Alle Ausbauer haben im Prinzip den gleichen Plan, sie wollen sich die Option  „Allrad zuschaltbar, 11.390 Euro“ nicht nehmen lassen und verzichten lieber auf die zusätzliche Stehhöhe. Basierend auf dem alten neuen Sprinter, gibt es zum Basisfahrzeug nicht allzu viel zu erklären. Der Sprinter bleibt ein Nutzfahrzeug, vielleicht sogar ein bisschen mehr denn je, denn mit dem viel zitierten Einstiegspreis von 19.999 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer will man ja hauptsächlich gewerbliche Kunden ansprechen. Folglich ist die Grundausstattung des neuen Sprinters entsprechend lau. Um die Premium-Hymer-Kunden nicht mit Kleinigkeiten aufzuhalten, wurde der Basiskasten gleich ein wenig aufgehübscht, so dekadente Luxusausstattung wie Beifahrerairbag, Tempomat oder Klimaanlage werden dem Kunden sozusagen aufgezwungen.

Der Grundpreis für den Grand Canyon S mit der Basismotorisierung (115 PS) und Sechsgang-Schaltgetriebe, beträgt 56.990 Euro, ein nackter 311 CDI kostet im Vergleich 42.483 Euro. Unser Testwagen schlägt letztendlich mit 78.672 Euro zu Buche und ist noch längst nicht komplett ausgestattet – da ist noch ordentlich Luft nach oben. Das Erste, was einem bei den inzwischen winterlichen Temperaturen einfallen würde, wäre eine Sitzheizung. Der Sprinter hat keinerlei Heizungsausströmer im ehemaligen Laderaum, jetzt Wohnraum. Selbst nach einer Stunde fahrt, mit der Heizung auf höchster Stufe, ist es beim Bremsen so, als würde man mit kalter Luft übergossen. Wer ohne dicke Winterjacke gemütlich unterwegs sein möchte, dem bleibt nur, während der Fahrt die Zusatzheizung einzuschalten. Ein absolut empfehlenswertes Extra an unserem Testwagen ist die Siebengang-Tiptronic, die es nur in Kombination mit Eco-Start-Stopp-Funktion mit elektronischer Handbremse oder Abstandsassistent Distronic gibt. Wir hatten letztere Option plus eine elektrische Parkbremse – serienmäßig wäre ein

In tiefster Stellung und dank einstellbarer Lenksäule sind Pedale und Lenkrad auch für kleine Fahrer zu erreichen. Das zentrale Bedienpanel im Cockpit ist klasse.

abklappbarer Handbremshebel. Nicht unwesentlich zu den guten Fahrleistungen trägt natürlich die Motoren- und Gewichtsvariante bei. Für 4.570 Euro extra gedieh unserem S die Option 416 CDI, 163 PS und zulässiges Gesamtgewicht 3.880 Kilogramm an. So gerüstet fährt sich der Mercedes schon mal ganz ordentlich. Die ebenfalls gewählten Funktionen „Geräuschmaßnahmen, 290 Euro“ und „Lederlenkrad, 250 Euro“ tragen ebenfalls zum Wohlbefinden bei.
Das relativ weiche, fast schon schwankende Fahrwerk mit der weich schaltenden Automatik und dem einigermaßen gedämmten Motor lässt schon ein bisschen das Gefühl von einem Luxuscamper aufkommen. Umso mehr konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf die Windgeräusche vom großen Dachfenster im Wohnraum direkt hinter den Vordersitzen – in Verbindung mit dem optionalen Aufstelldach mit Doppelbett, 3.990 Euro, könnte das Problem der Windgeräusche schon mal gelöst sein. An dem Punkt muss man sich wieder die Frage stellen, wieso schaffen es ein Premium-Fahrzeughersteller und ein Premium-Reisemobilhersteller nicht, gemeinsam eine ordentliche Lösung zu finden – das Panorama-Schiebedach einer S-Klasse produziert doch auch keine Geräusche.
Weiter geht es mit den Sitzen. Zwar haben selbst die originalen, sogar elektrisch einstellbaren Komfortsitze von Daimler beim ersten Test (CamperVans 4/2018) auch nicht überzeugt, die Aguti-Sitze sind aber keine wirkliche Verbesserung. Besonders die wackeligen und scharfkantigen Drehkonsolen sind enttäuschend. Auch von der Höheneinstellung, genau wie man sie von Ducato & Co. kennt, hätte man von Daimler mehr erwartet. Wenigstens haben die Pilotensitze zwei einstellbare Armlehnen. Eine Unbekannte in puncto Haltbarkeit wird der Rahmen der Seitenscheibenverdunkelung. Beim Zuziehen der Tür und auch beim Ablegen des Arms, ohne zuvor die Armlehne herunterzuklappen, erfolgt der Erstkontakt immer mit dem Rahmen, der keinen allzu robusten Eindruck macht.

Das Sprinter-Cockpit ist schön, wenn man mindestens 2.600 Euro in Ausstattung steckt.

Aber es gibt auch viel Positives über den Sprinter zu berichten. So albern Keyless-Go ist, es ist schon praktisch, nur aufs Knöpfchen zu drücken und den Schlüssel einfach in der Tasche zu lassen. Der Tempomat und die Abstandskontrolle sind gut und einfach zu bedienen, was allerdings wirklich nervt, ist der aktive Spurhalteassistent. Beim Überfahren der weißen Linie bremst das entsprechende Rad so ruppig ab, dass durch die weiche Vorderachse richtig Unruhe ins Fahrwerk kommt. Wer abgelenkt war, ist danach bestimmt wieder konzentriert – im Extremfall fährt das Auto aber nach kurzem Rütteln

einfach über die Linie und bestenfalls in die Leitplanke. Es ist also nur ein Spurverlassenswarner. Ein echter Spurhalteassistent, wie es der direkte Mitbewerber VW bietet, braucht eine Stereokamera, um die Umgebung dreidimensional zu erfassen. So ist es entspannter, das System abzuschalten.
Da das Fahrwerk, bis auf neu abgestimmte GfK-Querblattfedern an der Vorderachse, gleich geblieben ist, ist auch die altbekannte Kritik noch aktuell. Das Ansprechverhalten der Vorderachse ist zunächst ruppig, wird dann weich und knickt fast weg. Die Empfindungen schwanken zwischen komfortabel und seekrank – jedenfalls fällt es erstaunlich leicht, sich auch auf der Autobahn an die Richtgeschwindigkeit zu halten – obwohl der 163-PS-CDI auch 170 km/h könnte.

Bildergalerie

Kommen wir endlich zum Ausbau – der nur minimal an den neuen Sprinter angepasst wurde. Der Grundriss ist klassisch mit einer Zweiersitzbank mit Gurtbock und einem fest montierten Klapptisch – nicht sehr groß, aber für zwei Personen eigentlich ausreichend. Gegenüber der Dinette steht ein optisch schöner Küchenblock – Platz zum Arbeiten muss man sich aber seitlich anbauen. Die Koch-Spüle-Kombination mit Zweiflammkocher und Glasabdeckung ist ebenfalls ausreichend, solange man keine zu großen Portionen zubereiten möchte: Wie so oft sind die Topfdurchmesser auf 16 und 22 Zentimeter begrenzt – aber für die Verpflegung von zwei sollte es reichen. Zwei Schubladen und eine Klappe für schwere Töpfe nehmen allerlei Material auf. Die obere Schublade mit integrierter zweiter Besteckschublade ist allerdings etwas speziell, da durch den zweiten Auszug die eigentliche Schublade mit nur ganz flachen Dingen, maximal sieben Zentimeter hoch, beladen werden kann.
Neben dem Küchenblock steht ein großer 90-Liter-Kompressorkühlschrank – gespeist von einer 95-Ah-Aufbaubatterie. Unter dem Kühlschrank bleibt sogar Platz für einen kleinen Schuhschrank. Beim Bad wurde detailoptimiert: Spanngummis an den Regalen halten die gängigen Utensilien auch während der Fahrt an ihrem Platz. Der Spiegelschrank über dem Klappwaschbecken ist okay, ist aber nicht so tief, dass beispielsweise Handtücher darin verstaut werden könnten. Praktisch ist die 230-Volt-Steckdose im Schrank, unpraktisch der für kleine Kinder zu hoch angebrachte Lichtschalter.

Apropos kleine Kinder beziehungsweise Zielgruppe für einen Grand Canyon S: das Bett. Herrlich bequem, man schläft mit gut 1,80 Meter Größe perfekt auf der dicken Kaltschaum-Matratze mit Tellerrosten als Unterbau – jedenfalls solange man allein ist. Mit 1,94 mal 1,27 Metern hört sich das Bettmaß ganz okay an, vorausgesetzt, man ist jung und verliebt. In der Praxis ist die komplette Länge des Heckquerbetts allerdings nur im Bereich der Ausbuchtungen im Fensterbereich gegeben. Das bedeutet: Auf der etwas luftigeren Kühlschrankseite sind es 88 Zentimeter und auf der zugebauten Badseite 102. Selbst meine 1,60 Meter kleine Frau beginnt bei der Vorstellung, mit mir vierzehn Tage Erholungsurlaub damit zu verbringen, zu jammern – und an mir liegt das natürlich nicht. Das nächste wäre dann noch der Aufstieg auf das 98 Zentimeter hohe Bett. Im unserem Testfahrzeug lag zwar ein 20 Zentimeter hoher Kunststoff-Klapphocker bei, aber das kann ja wohl nicht die Lösung des Problems sein. Bei dieser neurochirurgische Höhe (also Fallhöhe,

Unter dem Bett gibt es ordentlich Stauraum. Tisch und Stühle haben ihren festen Platz und werden ordentlich verzurrt.

aus der mit schlimmeren als nur orthopädischen Verletzungen zu rechnen ist) und der Preisklasse darf man eigentlich eine handwerklich herausragende Lösung des Problems erwarten – außer die Zielgruppe sind nur große Alleinreisende oder kleine Pärchen mit Klapptritt. Wer auch immer SWOT-Analyse ausgewertet hat, hätte den Faktor Mensch nicht vergessen dürfen.

Der Sprinter mit Querbett ist für Personen über 1,65 Meter ein Kompromiss. Man kann darin schlafen, Längsbetten oder das Bettmaß eines Ducatos sind aber erholsamer. Eine sinnvolles Extra ist vermutlich das Aufstelldach: Liegemaß 2,00 mal 1,22 Meter und keine lauten Dachfenster. Allerdings gibt es dann Probleme mit der Zuladung. Es gibt aber einfach so gut wie keine Alternativen zum Sprinter, will man Heckantrieb, Allrad oder gar Allrad mit Untersetzung. Der saure Apfel ist dann einfach das eigentlich zu schmale Basisfahrzeug, das muss einem klar sein. Als Allrad-Fernreise-, Expeditions- oder Abenteuermobil okay, mit mehreren Personen aber möglichst mit Klappdach. Als Freizeitmobil für zwei, wenn nicht zu groß, ein schönes Fahrzeug. Für alles andere gibt es praktischere Modelle – auch von Hymer, aber eben nicht mit Stern. Schade, da viele Kleinigkeiten und Kritikpunkte eigentlich bekannt sind, aber leider noch nicht behoben wurden. Ob das Fazit anders ausfällt, wenn das Thema Allrad auf den Tisch kommt? Das lest ihr in CamperVans 01/2020!

Zusammenfassung

Basisfahrzeug
Mercedes-Benz Sprinter 416 CDI, Vierzylinder-Turbodiesel mit AdBlue und SCR-Katalysator. Hubraum 2.143 cm³, 120 kW (163 PS) bei 3.800/min, max. rehmoment 380 Nm bei 1.400/min, 7G-Tronic-Automatikgetriebe, Heckantrieb
Maße und Massen:
(L x B x H) 593 x 203 x 276 cm, Radstand: 367 cm. Masse im fahrbereiten Zustand: 2.920 kg, zulässige Gesamtmasse: 3.880 kg
Aufbau:
Stahlblechkarosserie mit Hochdach, isolierte Alu-Rahmenfenster. Isolierung Dach 23 mm, Wände und Boden 16 mm Polyethylen-Schaumstoff. 2 Dachluken 40 x 40 cm. Dachlüfter 28 x 28 cm im Bad
Bett:
Heck-Querbett 194 x 127 cm
Füllmengen:
Frisch-/Abwasser: 100 l innenliegend/80 l außen isoliert, Gas: 11 + 5 kg, Diesel 71 l, AdBlue 22 l
Serienausstattung:
90-l-Kompressorkühlschrank, Kompaktbad, Zweiflammkocher, Heizung Truma Combi 4, Fahrzeughimmel und -wände mit wärme- und geräuschdämmender Stoffkaschierung
Sonderausstattung (Auszug):
Dachluke 70 x 50 cm, Mini-Safe, Abwassertank beheizt, Truma Combi D, TV-Vorbereitung, Haupttank 93 l, elektr. Parkbremse, Klappstühle und -tisch, MBUX-Multimediasystem mit 10,25-Zoll-Display, Cupholder vorne
Testverbrauch:
10,2 Liter/100 Kilometer
Grundpreis:
ab 56.990 Euro
Testwagen-Preis:
78.672 Euro
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