> Die Story vom fliegenden Bulli Horst

Auf Abwegen

14.02.2024

Eine Auszeit vom Alltag und Job, eine Reise mit vielen Überraschungen und ein unglaubliches Ende – allerdings nur vorübergehend. In Campervans ließt du die abenteuerliche Geschichte von Naturfotograf Rene Freitag und seinem Bulli Horst.

Eiskalter Wind weht, der Blick schweift über die Bergketten der Pyrenäen in 2.600 Meter Höhe. Es hat überraschend geschneit. Eigentlich eine traumhafte Szenerie, wenn nicht fünf Minuten vorher … Zeitsprung: Silvester 2015. Ich bin mit Freunden über Silvester nach Gran Canaria gereist. Sieben Tage Urlaub. Sieben Tage in der Sonne anstatt im Büro. Wieder und wieder spiele ich diesen Gedanken durch: auf Reise gehen, den Job an den Nagel hängen. Dann sagt die Vernunft wieder „das kann man doch nicht machen“. Aber genau dafür hatte ich mir doch vor einem halben Jahr den Bus gekauft, nach fast einem Jahr Suche ist es der erträumte T3 Syncro geworden. Mit Allrad, Differenzialsperren und in Anbetracht des Alters in einem sehr guten Zustand. Genau deshalb habe ich den Bus gekauft, welcher auf den Namen „Horst“ hört, damit es eine Ausrede weniger gibt. Das Fahrzeug ist ja schon da. Diverse Unterhaltungen führten dann dazu, dass ich zehn Tage später die Kündigung auf den Tisch legte und sagte: „Ich bin dann mal weg.“

Meine Entschädigung für den Verzicht auf eine Wohnung ist es, immer inmitten der Natur direkt an den besten Fotospots zu sein.

Von da an habe ich noch sechs Monate bis zur Abreise vor mir. Monate, in denen der Bulli noch final aus- und umgebaut wird – so wie ich denke, dass es für mich für 18 Monate passen wird. Die Route? Mein Traum ist, die Panamericana zu bereisen, deshalb hatte ich mich auch für etwas Geländegängiges entschieden. Der gute alte VW T3 mit seiner einfachen Technik und einem guten Kompromiss von Außenabmessungen und Wohnraum machen ihn für mich zum perfekten Fahrzeug!
Vor der Panamericana soll aber erstmal der europäische Kontinent erkundet werden. Grob plane ich, den Sommer

hoch in den Norden zu fahren und zum Herbst Richtung Süden durch Spanien, um dann in Marokko zu überwintern. Zurück durch Portugal rüber in die Balkan-Staaten einmal um das schwarze Meer durch Teile Russlands wieder zurück. So die Überlegung seinerzeit. Dass alles anders kommen soll, ist mir da natürlich noch nicht klar. Der 28.07.2016 ist der Tag der Abreise. Knapp einen Monat später als geplant geht es los. Mit einem befreundeten Fotografen, der mich die ersten zwei Wochen nach Norwegen begleiten wird, haben wir 900 Kilometer nach Hirtshals zur Fähre vor uns.
Die Bordelektrik mache ich noch in letzter Minute fertig, nachts um zwei Uhr sind dann endlich die letzten Arbeiten am Horst erledigt. Wir haben noch ganze zwölf Stunden Zeit bis zur Fähre, wohlgemerkt mit einem alten T3. Was soll’s, wird schon irgendwie passen.
Nach zehn Stunden Fahrt erreichen wir noch pünktlich unsere Fähre. Jetzt geht es endlich los. Eine Reise, von der ich schon länger geträumt habe. Frei, unabhängig von Zeit und Verpflichtungen, einfach fahren und stehen bleiben, wo man will. Früher backpackend um die Welt gereist, starte ich nun in das Vanlife. Einfach los. Testreisen werden doch eh irgendwie überbewertet.

Zwei Fotografen in einem Van, da ist man natürlich auf der Suche nach den besten Fotomotiven. Island kenne ich nach diversen Reisen schon in- und auswendig, deshalb bin ich natürlich auf die für mich noch neuen skandinavischen Länder besonders gespannt. Leider empfängt uns Norwegen mit Dauerregen. Ok, denke ich, der Norden halt, leider will es aber gar nicht mehr aufhören zu regnen. Wir passen den Reiseverlauf der Wettervorhersage an und fahren nicht wie geplant die im Vorfeld recherchierten

Slacklinen unter Palmen. Was aussieht wie in der Karibik, ist tatsächlich in Andalusien auf meinem Weg in den Süden.

Fotospots an. Wie immer im Leben kommt es schließlich darauf an, das Beste aus der Situation zu machen. Was uns wohl auch recht gut gelingt. Nach zwei Wochen setze ich Martin am Flughafen in Oslo ab und mache mich auf in Richtung Schweden, Freunde besuchen. Die geplante Route hoch in den Norden muss ich aufgrund der verspäteten Abreise ändern. Das wird allerdings nicht das letzte Mal sein, dass ich mehr Zeit als gedacht benötige. Nun beginnen die ersten Tage allein im neuen Vanlife. Erstaunlich schnell habe ich mich daran gewöhnt, den Luxus einer Wohnung mit heißer Dusche und allem hinter mir zu lassen. Die „Entschädigung“, obwohl ich es nicht wirklich als Verzicht wahrnehme, ist, quasi überall nächtigen zu können, inmitten der Natur direkt an den besten Fotospots, das ist einfach unersetzlich. Und die Reise hat ja gerade erst begonnen.

In den nächsten Wochen erkunde ich Südschweden, unternehme einige Kanutouren mit Freunden und fahre eineinhalb Monate später mit der Fähre zurück nach Deutschland. Den Herbst will ich in Südfrankreich und Nordspanien verbringen. Nach einem kurzen Zwischenstopp in Deutschland, um Freunden und Familie einen Besuch abzustatten und ein paar Änderungen am Ausbau vorzunehmen, fahre ich auf ziemlich direktem Wege in Richtung Spanien.
Spanien fesselt mich überraschenderweise mehr als gedacht. Ursprünglich waren so fünf Wochen Spanien, sechs Wochen Marokko usw. angepeilt, damit ich im Frühling durch Nordspanien in Richtung Balkan unterwegs bin. Von wegen. Nach drei Monaten bin ich immer noch nicht auf der Fähre nach Marokko. Ich habe das langsame Reisen entdeckt. Zu viele interessante Locations, zu viele nette Begegnungen …
An diese Art des langsamen Reisens muss ich mich allerdings zunächst einmal gewöhnen, was nicht einfach ist. Immer diese innere Zerrissenheit – auf der einen Seite: bleiben und intensiver kennenlernen, auf der anderen Seite: der Drang, mehr entdecken zu wollen. Mit der Zeit wird es eher das Erstere. Das Leben im Van war mittlerweile „Routine“ geworden. Der Alltag frisst jedoch mehr Zeit als gedacht. Da ich zu 98 Prozent nicht auf Campingplätze gehe, bin ich täglich eine nicht unerhebliche Zeit mit der Stellplatzsuche beschäftigt. Dann will der Wassertank alle drei bis fünf Tage aufgefüllt werden und der Waschsalon benötigt auch seine Zeit. Da man den Bezug zur „regulären Zeitrechnung“ auch allmählich verliert, kommt es durchaus vor, dass man sich am Sonntagvormittag völlig verwundert vor verschlossenen Supermarkttüren wiederfindet.
Ende Januar habe ich dann genug von Spanien erkundet und befinde mich auf der Fähre nach Marokko. Ein grandioses Land. Wenn auch zunächst der Straßenverkehr ein klein wenig anders abläuft, als man es so aus Europa kennt. Da wird auf der Autobahn gerne mal das Moped über die Leitplanken gehoben, um die komplette Autobahn von rechts nach links zu queren. Esel wandern auf dem Standstreifen usw. Schnell ist dies aber Alltag und man passt sich dem Fahrstil entsprechend an. Damit man auch ja nicht den Tag verschläft, insofern man in der Nähe der Zivilisation nächtigt, wird man in der Früh um fünf Uhr vom ersten der fünf täglichen Gebete des Muezzin geweckt. Überall wird man von den freundlichen Marokkanern zum Tee eingeladen. Schnell habe ich mich in dieses gastfreundliche Land, welches bei sehr vielen scheinbar häufig noch kritisch als Reiseland betrachtet wird, verliebt.

Von Algeciras braucht die Fähre zwei Stunden, schon ist man auf dem afrikanischen Kontinent angekommen.

Marokko ist darüber hinaus natürlich landschaftlich extrem interessant und vielfältig. Während es im Norden noch sattgrüne Wiesen und Wälder gibt, wird es südlich sehr karg, bis es dann vor der Westsahara und östlich Richtung Algerien in die typische Wüstenlandschaft übergeht.
Ich fahre quasi im Uhrzeigersinn die Küste entlang, in den Süden bis zur Westsahara und dann ostwärts zickzack ins Atlas-Gebirge und immer wieder in die Wüstenregionen parallel zur algerischen Grenze. Ende April, ja ich habe die maximale Aufenthaltsdauer von drei Monaten ausgereizt, geht es dann mit der Fähre zurück nach Spanien. Welch ein

krasser Gegensatz plötzlich. Geordneter Straßenverkehr, es wird nicht gehandelt, keine lauten Gebete usw. Im ersten Moment irgendwie „stressfreier“, aber … dafür viel anonymer, keine selbstverständlichen täglichen Einladungen zum Tee oder gar zum Essen. Ein paar Tage später geht es dann rüber nach Portugal. Die südländische „Mañana mañana“-Mentalität der Spanier wird hier noch mal getoppt. Wieder etwas, an das man sich neu gewöhnen muss. Reisen bildet halt. An der Supermarkt-Kasse schreit nur vereinzelt ein deutscher Tourist, dass doch bitteschön die zweite Kasse geöffnet werden solle, ein Portugiese wird das nie tun. Geduld ist hier eine Lebenseinstellung.
Ja was soll ich sagen, in Portugal bleibe ich fast fünf Monate „hängen“. Allein die Algarve, wenn auch touristisch überlaufen – wovon man in der Vorsaison allerdings nicht so viel mitbekommt – ist es wert, ein paar Wochen erkundet zu werden. Hier findet man bekanntermaßen sehr viele Vanlifer und echte Hippies, ja ganze Dörfer findet man hier auch noch. Die folgenden Wochen fahre ich dann hauptsächlich an der Küste in Richtung Nordspanien. Die Abstecher ins Landesinnere sind aufgrund der ständigen und riesigen Waldbrände überschaubar.

Bildergalerie

In Nordspanien bin ich dann noch eine ganze Zeit in den „Picos de Europa“ hängengeblieben. Ein Paradies zum Klettern und Wandern. Auf dem weiteren Weg durch Nordspanien kontaktiere ich einen befreundeten T3-Fahrer aus Barcelona, ob er nicht Lust auf eine gemeinsame Tour durch die Pyrenäen hätte. Er will und wir planen, vier Tage zusammen zu fahren. Marc kennt die Pyrenäen wie seine Westentasche und so kommen wir an interessanten und nicht gerade bekannten Ecken vorbei und ich kann noch so einiges über die lokale Kultur lernen. Die Pyrenäen sind einfach wunderschön und bieten immer geniale Ausblicke. Am dritten Tag der Tour geht es dann auf einen der höchsten Punkte. Es hat geschneit und einer von zwei Jeeps vor uns hat sich festgefahren. Ich nehme an, dass das noch ein paar Minuten dauern würde, ziehe die Handbremse und steige aus, um ein paar Fotos zu machen. An dieser Stelle ist die Straße auf beiden Seiten abschüssig.

Hochgebirge. Überraschend hat es angefangen zu scheien, die Sicht fiel auf unter 100 Meter.

Eiskalter Wind weht, der Blick schweift über die Bergketten der Pyrenäen in 2.600 Metern Höhe. Nach ein paar Minuten schreit Marc plötzlich „Reeené, der Horst …!“. Ich drehe mich um und sehe, wie Horst sich langsam in Bewegung setzt. Er rollt über die Straße, schlägt dann Richtung Hang ein, um sich Sekunden später in Richtung Abgrund zu verabschieden. Zuerst renne ich hinterher, um ihn irgendwie zu stoppen, aber das ist unmöglich. Ich bin auf die Knie gefallen und musste dabei zusehen, wie er den Abhang hinunterrollt.

250 Meter weiter und 50 Höhenmeter tiefer liegt er dann nach zweifachem Überschlag in steiler Hanglage. Zum Glück ist er liegengeblieben und nicht weitergerutscht. Die Stelle ist steil, aber man kann den Wagen noch zu Fuß erreichen. An ein Betreten ist allerdings nicht zu denken. Zu gefährlich, dass er dann weiter rutschen könnte. Die Heckklappe ist aufgesprungen und die Frontschreibe zerbrochen. Somit liegt zum Glück eine Menge meines Hab und Guts am Hang verstreut. Ein paar Kleidungsstücke, notwendige Medikamente und meinen Laptop können wir einsammeln. Die Fotoausrüstung und Festplatten mit den meisten Fotos sind allerdings noch drin.
Für mich gibt es nur zwei Gedanken: Wie bekommen wir den da wieder rauf und wie umfangreich wird die Reparatur? Dass der Schaden nicht unerheblich ist und die Bergung nicht wirklich einfach wird, ist mir in dieser Situation nicht bewusst. Ziemlich schnell ist klar, dass wir hier alleine nicht viel machen können. Mit dem GPS-Gerät speichern die Koordinaten.

Nach über 15 Monaten on the Road hat sich die heile Welt innerhalb 15 Sekunden gewendet. Eine Bergung ist nur noch per Hubschrauber möglich...

Wir fahren in Richtung Andorra Stadt runter. Dabei kommen wir an einer Skistation vorbei. Der Quad-Vermieter hat von Kunden schon mitbekommen, was passiert ist. Er bietet seine Hilfe an. „Kein Problem, ich kenne einige Leute mit Jeeps hier, den ziehen wir später raus“. Als ich ihm jedoch die Koordinaten präsentiere, winkt er schnell ab. Da … das geht nur noch mit dem Hubschrauber. Mit dem Hubschrauber? Darauf war ich nicht gefasst. Wie soll das gehen? Mit vielen Fragen im Kopf und nervlich ziemlich durch, begeben wir uns auf die Suche nach einem Hotel und eine schlaflose Nacht liegt vor mir. Die dann folgende Bergung bringt mir den Namen „der mit dem fliegenden Horst“ ein.
Warum? Das erfahrt ihr in der April-Ausgabe von CamperVans.

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