> Adria Twin Sports 640 SG

Multifunktional

05.12.2022

Warum kompliziert, wenn es auch einfach geht: Der Adria Twin 640 SG ist bestens für die Transportbedürfnisse der heutigen Generation geeignet – er hat aber auch seine Ecken und Kanten.

Wow! Das war der erste Eindruck auf dem Caravan Salon in Düsseldorf im vergangenen Jahr. Dass viele andere das Gleiche dachten und es kaum ein Durchkommen zu dem Fahrzeug gab, war nicht weiter schlimm – das Fahrzeug musste eh umgehend für einen ausgiebigen Test in die Redaktion. Ein knappes (Corona-)Jahr hat es gedauert – und nicht nur wir, auch andere Interessenten haben sehnlichst auf den Adria Twin Sports 640 SG gewartet. Mitte Juni war es dann endlich so weit und unser Testfahrzeug wurde endlich geliefert. Ganz jungfräulich ohne Zulassung, ohne Radio, frisch vom Werk im slowenischen Novo mesto.

Hell und luftig: Der Grundriss im Wohnbereich des Twin Sports 640 ist gut. Viel Platz am Küchenblock, hochgesetzter Kühlschrank und ordentlich Arbeitsfläche. Polster und Möbelfarben lassen sich sogar noch auswählen.
Foto: Redaktion

Wie es der Name schon verrät, handelt es sich beim 640er um den langen Fiat Ducato 8, also 6,36 Meter lang mit einem Radstand von 4,04 Meter. Fast schon typisch für die Fahrzeuglänge sind die Längsbetten im Heck. Kaum ein Hersteller versucht unlängst mit Längsbetten und den verschiedensten Hubeinrichtungen den allgegenwärtigen Transportbedürfnissen der oftmals Rad fahrenden Fangemeinde gerecht zu werden – so ganz zufriedenstellend sind die Ergebnisse aber nicht.

Oft ist der Laderaum doch zu kurz und die Räder ragen so weit in den Wohnraum, dass sie beispielsweise den Zugang zum Bad oder zum Kühlschrank versperren. Oder der Mechanismus, der das Bett heben und senken soll, nimmt so viel Platz weg, dass die Liegefläche fast schon wieder zu klein ist, oder die Dachschränke hängen wiederum so tief, dass an Schlafen bei angehobenem Bett kaum zu denken ist. Alles nicht so einfach oder nur nicht wirklich getestet?

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Längs-Einzelbetten und viel Ladefläche

Beim Adria sieht die Sache ganz anders aus: Mit gut 2,05 Meter, beziehungsweise 2,00 Meter Bettenlänge und ein paar Zentimeter mehr Laderaum, passt eine 27,5er Fully Rahmengröße S problemlos in den Laderaum, beim 29er Größe L muss man den Lenker einschlagen und schon passt es. Die Betten könnten für den bequemen und sicheren Bike-Transport einfach hochgeklappt werden.

Möchte man noch darauf schlafen, kann die Höhe mithilfe von Airline-Schienen seitlich an der Wand und Haltegurten relativ stufenlos eingestellt werden – das Prinzip funktioniert, aber nicht ganz so einfach, wie man es sich vorstellt. Zu zweit geht es auf jeden Fall einfacher. Außerdem lässt sich nur das Bett auf der Fahrerseite einzeln benutzen, die Beifahrerseite liegt auf dem anderen auf.

Mit den Betten könnte man theoretisch bis kurz unters Dach fahren, die abnehmbaren Taschen aus Planen-Material lassen sich dann problemlos unten im riesigen Laderaum verstauen. Auch wenn das System noch nicht ganz so locker funktioniert, kann man schon jetzt sagen, es ist die Funktion und Flexibilität, die man sich als Outdoorsportler mit viel Equipment schon immer gewünscht hat.

 

Speziell konzipiertes Aufstelldach mit komfortablem Dachbett

Bis auf das multiflexible Hinterteil ist der Adria Twin Sports 640 SG  zuerst einmal ein normaler 6,40er-Camper mit Aufstelldach. Doch nicht ganz, denn das Aufstelldach ist irgendwie komplett anders als bei den Mitbewerbern. Anstatt eines klassischen Scherensystems aus Metall besitzt das GfK-Dach zwei Ausleger oder Verlängerungen, die den Drehpunkt bis ans Fahrzeugende verlagern.

Das Dach wird beim Öffnen oder Schließen also nicht durch einen Scherenmechanismus senkrecht nach oben oder unten, sondern in einer gleichmäßigen Bewegung geführt. Der Vorteil soll eine höhere Stabilität im geöffneten Zustand sein und das Dach soll während der Fahrt noch sicherer verschlossen sein. Was auf jeden Fall funktionieren würde, wäre die Montage einer Dachklimaanlage zwischen den beiden Schwalbenschwänzen im Heck, das kleine Dachfenster im Ist-Zustand ist aber auch schon ganz okay.

Das Bett im Aufstelldach ist super bequem. Eine Dachhaube zur besseren Belüftung wäre perfekt.
Foto: Redaktion

Das Dachbett ist wirklich sehr gelungen. Die Maße sind mit 2,00 mal 1,20 Meter vielleicht nichts Besonderes, aber der Komfort ist top. (Diesen Punkt kann man getrost zusätzlich vergeben, denn das Dachbett diente zusätzlich zum normalen Test noch eine Woche als Corona-Quarantäne – und zwar für den nörgelnden gesunden Teil der Familie.) Der Unterbau mit Tellerfedern und darauf eine Markenmatratze. Die Kombination allein wäre schon gut.

Noch besser ist aber, dass zwischen Dach und Bett genügend Platz ist, sodass zumindest die Bettdecken bei geschlossenem Dach oben liegen bleiben können. Das spart Stauraum. Wie üblich, ist die große, zweiteilige Leiter immer im Weg. Vermutlich hat inzwischen jeder Hersteller die Videos gesehen, wie praktisch man eine am Dachausschnitt befestigte Teleskopleiter ausfahren und bei Nichtbenutzung einfach im Ausschnitt verstauen kann – hoffentlich sind die Lagerbestände der Klappleitern bald aufgebraucht.

Das Dachbett verfügt über einen Tellerfeder-Unterbau.
Foto: Redaktion

Prinzipiell braucht die Zielgruppe für so ein sportliches Fahrzeug keine Leiter, um ins Bett zu gelangen. Das war natürlich ein Scherz, Kinder lieben es, oben zu schlafen, und der Rausfallschutz ist wirklich so konzipiert, dass man die Kids sogar eine Sekunde unbeaufsichtigt lassen kann – das gilt auch für die Klappbetten im Heck.

Ansonsten ist das Dach auch sehr dicht: Der robuste Baumwollstoff hält Licht und Hitze ganz gut draußen, allein mit Atmungsaktivität wird es aber doch recht stickig – eine Dachluke wäre gut. Natürlich lässt sich der Zeltbalg mit seinem Vier-Wege-Reißverschluss in alle Richtungen und sogar komplett zur Dachterrasse öffnen, ein einfaches Fenster wäre als Belüftung aber schneller und einfacher.

Der Zeltbalg lässt sich zwar komplett öffnen, die Bedienung ist aber ein bisschen umständlich.
Foto: Redaktion

Was vielleicht nicht ganz so gut funktioniert, ist die einfache Bedienung: 140 Kilogramm soll das Dach wiegen und das Gewicht muss auch von den Gasdruckdämpfern gehalten werden. Man wundert sich also nur anfangs über die robusten Gurte mit extra Griffschlaufen, die von der Decke baumeln – wer sich zum Schließen des Dachs dranhängt, weiß, wieso sie so sind. Man muss sich ganz schön ins Geschirr hängen, um den Deckel wieder zuzuklappen.

Recht neu ist das mit zwei Ratschengurten und Magnet-Schnappern. Es ist zwar noch immer kein halbautomatischer Zentralverschluss, aber besser als so manches Gefummel. Licht, USB-Anschlüsse und Ablagen gibt es auch, die Arme der Leuchten sind aber etwas schwach und lassen sich nur bedingt positionieren. Außer den Schlafzimmern im Heck und im ersten Stock hat der Adria aber noch mehr zu bieten.

Dachzelt-Verschluss
Foto: Redaktion
Egal wie lang – der Kastenwagen ist das perfekte Basecamp. Beim 640 SG wurde zugunsten der Garage der Platz an der Sitzgruppe etwas verringert, für ein bis zwei Kinder würde es aber noch immer reichen.
Foto: Redaktion

Guter Grundriss mit ausreichend Platzangebot

Der Wohnraum, der gemessen an den Bettgrößen selbst für vier Erwachsene passen könnte – da wird es jedoch mit der Zuladung knapp. Zwei Erwachsene und zwei Kinder lassen sich aber unterbringen. Der Raum ist zumindest groß genug, die Sitzbank mit Isofix relativ schmal, für Kinder aber okay und sogar gut geformt. Wenn ein Erwachsener bequem darauf lümmeln möchte, stört allerdings die Kontur.

Das größte Manko an der Bank-Tisch-Kombination: Zwischen Sitzkasten und Tischbein sind nur ein paar Zentimeter Platz. Ab Schuhgröße 25 braucht man gar nicht erst versuchen durchzukommen, es hilft nur von oben einfädeln. Wenn man aber erst mal sitzt, sitzt man gut. Ganz praktisch ist die versenkte Ablage im Tisch, in der man Schlüssel, Handy und Kleinteile verstauen kann.

Der erweiterbare Tisch ist groß genug zum Essen und um die nächsten Aktivitäten zu planen.
Foto: Redaktion
 
Der Zweiflammkocher mit Spülbecken funktioniert gut.
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Auch ganz wichtig natürlich: die Küche. Der Kühlschrank an der Frontseite lässt sich gut von außen und innen nutzen. Die Arbeitsfläche darüber ist schön groß und die Kombination aus Zweiflammkocher und Spüle völlig ausreichend. Wie so oft nicht zu Ende gedacht ist die Positionierung der Steckdose an der Ecke über dem Spülbecken.

Dort könnte man zwar sein Handy einstecken und zum Laden in das praktische Gewürzregal legen, für beispielsweise eine Kaffeemaschine ist dort aber kein Platz, und bis zur Ablagefläche muss das Kabel erst einmal hinter Spüle und Herd bis vorn reichen. Ansonsten verbleiben im Küchenblock noch drei große Schubladen und ein Oberschrank.

 

Direkt dahinter befindet sich noch ein Highlight des Twin Sports 640 SG, der Trockenschrank. Maße: 50 Zentimeter tief, 30 breit und 70 hoch, mit einem Warmluftausströmer und einem Gitter, durch das der „Dampf“ entweichen kann. Der wasserfeste Boden ist eine Blechtafel, darunter kommt der normale Fahrzeugboden mit den Absperrhähnen fürs Wasser und Heizungsrohre – wenn das zu Trocknende also zu nass ist, auch nicht gut. Darüber gibt es noch einen großen, normalen Schrank. An Stauraum fehlt es also nicht.

Auch das Thema Heizung ist etwas außergewöhnlich. Obwohl der Gaskasten Platz für zwei Elf-Kilo-Gasflaschen bietet, ist der Adria Twin Sports 640 SG mit einer Webasto-Dieselstandheizung und einem Whale-Dieselboiler ausgestattet. Prinzipiell sind wir bei kleinen Kastenwagen und Campingbussen große Fans von Kraftstoffheizungen – weil die Gasflaschen einfach zu viel Platz wegnehmen. Im SG haben wir jetzt einen riesigen Gaskasten nur für den Gasherd – Warmwasser und Heizung laufen mit Diesel.

Im Heck gibt es Platz für zwei Elf-Kilogramm- Gasflaschen, geheizt wird aber ausschließlich mit Diesel.
Foto: Redaktion

Nicht schlecht, allerdings verbrauchen Diesel-Geräte mehr Strom als Gas-Geräte, da zusätzlich eine Pumpe benötigt wird und auch der Startvorgang mehr Energie verbraucht. In der Praxis wird man also nicht um eine zweite oder eine größere Batterie für den Wohnraum herumkommen, braucht Solar oder sonstige Stromerzeuger, schließlich ist der Kühlschrank ja auch zu einhundert Prozent vom Strom abhängig. Mit der serienmäßigen 100-Ah-AGM-Batterie ist bei gleichzeitigem Heizen und Kühlen nach einem Tag der Ofen aus – oder die Batterie leer.

Es bleiben also schon noch ein, zwei offene Fragen zum Super-Outdoor-Mobil von Adria. Etwas Feinschliff an ein paar Ecken würden dem Adria Twin Sports 640 SG guttun. Eine Dachhaube im Aufstelldach, ein Fenster im Bad und ein größerer Ausschnitt am Tisch, damit dieser weiter in Richtung des Fahrersitzes geschoben werden kann. Dann vielleicht noch die Kanten der Möbelausschnitte etwas überarbeiten und versiegeln. Ein paar größere und kleinere Kleinigkeiten, die den ansonsten tollen Ausbau für viele Outdoor-Menschen perfekt machen würden.

Der Adria Twin Sports 640 SG kostet ab 63.699 Euro.
Foto: Redaktion

Am Ende bleibt noch das Gewichtsthema: Der lange Ducato als Basis ist nie leicht, das eigene Aufstelldach ist ebenfalls relativ schwer. Andererseits ist der 640er notwendig, um 2,10 Meter Garage, Küche, Bad, Sitzgruppe, ohne dass sich Funktionen gegenseitig einschränken, unterzubringen. So gesehen ist der 640 SG ein Luxus-Outdoor-Mobil – zumindest was den Platz angeht – für zwei, mit der Option zu dritt oder gar zu viert unterwegs zu sein. Dann wird je nach Sportart aber selbst der größte Laderaum zu klein und die Option 4,25 Tonnen rückt immer näher.

Fazit: Eigentlich genau meins, die manuelle Bettenlösung ist viel besser als die elektrische (Platzverschwendung). Aber es steckt noch Potenzial im Ausbau. www.adria-mobil.com

Technische Daten Adria Twin Sports 640 SG
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