Viele hauen im Winter ab nach Marokko. Surfer, Rentner, Aussteiger. Gesa Marx und Timo Großhans haben sich die Atlantikküste angeschaut. Hier überwintern viele direkt am Meer.
Die Vielfalt Marokkos ist in kaum einem anderen Land ähnlich. Mittelmeer, Atlantik, Wüste und Hochgebirge. Da können Bücher drüber geschrieben werden, wir haben uns mal die Atlantikküste genauer angeschaut. Da, wo viele Camper überwintern, wo Surfer surfen. Weil Städte, Strände und Kultur einfach genial sind.
Die Aufbautür des Chausson öffnet sich. Ein französisches Ehepaar steigt aus. „Essaouria ist auf unserer dreimonatigen Reise nur ein Halt, wir wollen weiter in den Süden“, erzählt uns der ergraute Franzose aus der Bretagne. Essaouira liegt auf der Höhe von Marrakesch. Lage, Charme und Geschichte der Stadt ziehen Surfer, Künstler und Hippies an. Seit 2001 steht die Medina, die Altstadt innerhalb der Stadtmauer, auf der UNESCO Liste der Welterbestätten.
In den Gässchen wuselt das Leben bis in die späten Stunden, überall gibt es Kunsthandwerk, Gemälde und Andenken zu kaufen. Authentisch wird’s im Souk, dem Händlerviertel: in Körben aufgetürmte Gewürzberge neben einer Metzgerei, dazwischen Händler in Kaftanen mit Straßenkarren und Garküchen. Alles in einer intensiven Geruchs- und Geräuschkulisse.
Weitere Highlights sind der breite Strand – nicht nur ein Paradies für Surfer. Laut Reiseführer reihen sich entlang der Küste zwischen Essaouria und Sidi Ifni unzählige Camping- und Stellplätze. Vielerorts soll auch das freie Stehen klappen.
Am südlichen Ortsausgang von Essaouria ein Stellplatz, hier stehen rund 20 Mobile, wir treffen Annette Weirich aus Hannover. „Hierher kommen nur Menschen, die eine etwas andere Reiseerfahrung suchen“, erzählt sie. Seit vier Jahren macht sie regelmäßig richtig lange Touren im eigenen Fahrzeug, immer allein.
Zuvor in einem VW-Bus, seit diesem Jahr in einem Kastenwagen von Pössl. In Marokko hatte sie bisher kein Problem, auch nicht als allein reisende Frau. Annette betont, dass sie Campingplätze meidet. „Ich stehe lieber frei oder auf Stellplätzen.“
„Sidi Kaouki ist in Marokko mein Lieblingsort“, Anette hatte die Messlatte hoch gelegt. Es befindet sich ein Stück südlich und hält, was sie versprochen hat: Ruhe, Traumstrand und weniger Touristen als in Essaouria.
Der Campingplatz Kaouki Beach hat vier Sterne mit fast europäischem Standard: parzelliert und begrünt, dank Mauern vor Wind geschützt und mit ordentlicher Sanitäranlage. Der Platz ist gut besucht, Meer und Sandstrand sind fußläufig in wenigen Minuten zu erreichen. Walter Jähe aus Kleve, 82 Jahre alt, reist seit sieben Jahren nach Marokko, um dem kalten Wetter in Europa zu entfliehen. „Mittlerweile ist es ja wie in Europa hier, nur wärmer im Winter“, schmunzelt er bei 25 Grad.
Auf dem weiteren Weg kommen wir in Insouane vorbei, bei Surfern bekannt für seine Wellen. Aber der Ort selber ist in einem erbarmungswürdigen Zustand. Hüttenverschläge, Baustellen, nun ja, ein paar Kastenwagen stehen auf einem Parkplatz. Wir stellen uns ein Surferidyll anders vor. Aber Surfer suchen Wellen, da muss alles andere zurückstecken.
Freisteher seit 20 Kilometern abseits der Straße, zwischen Kakteen und Sträuchern. Wir sind wenige Kilometer vor Imi Quaddar. Ein alter Alkoven steht neben einem neuen Kastenwagen. Die Eigner sitzen an der Klippe und beobachten, wie Wellen an Felsen schlagen. Der rote Camper gehört einem Surfer aus Berlin.
„Desert Point ist eine der wenigen Stellen, wo die Polizei das freie Stehen in Gruppierungen noch duldet. Die Platte haben sie dicht gemacht. Dort wird jetzt gebaut.“ Die Platte liegt kurz vor Agadir. Zu Hunderten standen Reisemobile dort oft wochenlang. Der Traum vom freien Stehen, vielen Campingplatzbetreibern wohl ein Dorn im Auge. Und schlecht für die Umwelt. Müll und volle Kassetten sollen en masse vergraben worden sein.
Ein Ballungsort, wo sich heute Reisemobile versammeln, ist der Campingplatz Atlantica Parc, wenige Kilometer südlich vom Desert Point. Überzeugte Frei- und Stellplatzsteher haben uns vor der Camperhochburg mit 700 Stellplätzen in Imi Quaddar gewarnt. „Atlantica Parc ist ein Altersheim auf vier Rädern“, witzelt Hannelore Lasner. Wir kommen ins Plaudern auf ihrer für die Wintermonate eingerichteten Terrasse mit mobiler Küche im mitgebrachten Anhänger und Windspiel-Deko. Ihnen gefällt‘s, warum auch nicht? Das Paar erzählt, dass diesen Winter viel weniger Europäer hier sind als sonst. Viele hätten Angst. „Völlig unbegründet“, wie uns Werner Lasner
In den traumhaften Gassen von Taghazout finden sich Läden und Stände. Sie verkaufen und Teppiche. Marokkanischer Minztee schmeckt besonders gut in einer der Bars entlang der Promenade. Wir schauen den Surfern beim Wellenreiten zu.
Agadir wurde 1960 von einem Erdbeben fast vollständig zerstört, eine Medina oder jahrhundertealte Moscheen gibt es hier nicht mehr. Wer hier ist, sollte fangfrischen Fisch am Hafen essen. Aus Norden auf der Küstenstraße kommend, biegen wir vor dem Ortseingang auf Hafenhöhe rechts ab. Noch ein Stück geradeaus, schon empfangen uns übereifrige Restaurantbetreiber auf der Straße. Auf dem Markt gibt es mehr als 30 Kioske und Garküchen. Lecker.
So gut der Fisch am Hafen von Agadir schmeckt, so schlecht lässt es sich in der Stadt mit dem Reisemobil stehen. Genau im Zentrum von Agadir an der Hauptstraße gibt es den außergewöhnlichen Campingplatz: Camping International. Leider zum Reisezeitpunkt nicht zu empfehlen: Der Platz wirkt verwahrlost und macht den Anschein, seit mindestens zehn Jahren nicht mehr bewirtschaftet zu werden. Bäh.
Rund 100 Kilometer trennen Agadir und Tiznit. Die Fahrt ist entspannt, das Wetter windig. Sand, den Böen streckenweise stark aufwühlen, taucht alles in einen trüben, gelben Schleier. Auf dem Weg nach Tiznit entdecken wir einige Stellen nahe der N1 und am Atlantik zum freien Übernachten. Kurz vorm Ziel lohnt ein Abstecher nach Tifnit mit „f“. Hier stehen am Ortseingang am Strand mehrere Reisemobile frei auf der Anhöhe mit Blick auf die Bucht.
Bis wir in Tiznit ankommen, hat sich das Wetter wieder beruhigt, die Sonne strahlt am wolkenlosen Himmel. Das Städtchen liegt zur Abwechslung mal nicht am Atlantik, sondern ein Stück weiter im Landesinneren.
Camping Municipal befindet sich direkt an der Stadtmauer vor den antiken Stadttoren. Er ist rappelvoll. Tiznits Innenstadt ist angenehm unaufgeregt: Die Händler im Souk sind nicht so aufdringlich wie in Essaouira. Bekannt ist die Stadt für Silberschmuck. Hier gibt es so viele Schmuckschmieden, sodass Gesa – überfordert vom Angebot – gar nichts kauft.
Nächster Halt ist der 15 Kilometer entfernte Küstenort Aglou. Dass die Anlagen derselbe Inhaber führt wie beim Atlantica Parc, ist unverkennbar: Gut begrünt und teils beschattet, parzelliert mit sauberen Sanitäranlagen. Der Platz liegt beim Ortseingang und ist gut besucht. Ein Stück weiter in Richtung Ortskern stehen rechts zehn Reisemobile mit freiem Blick aufs Wasser und die Promenade. Wie das wohl der Campingplatzbetreiber findet? Was durch die bisherige Reise klar wird: Je weiter wir in den Süden kommen, desto öfter stehen Reisemobile frei. Hier ist das wohl einfacher als im Norden.
Ein großes Schild rechts der Straße weist auf den Strand von Legzira hin. Rechts die Straße runter abbiegen und vorbei an einer Ferienwohnungssiedlung. Kurz vor der Wendeplatte führt eine unauffällige Schotterpiste links runter ins Dorf. Vorsicht: Die unebene Straße ist nicht gepflastert und sicherlich nicht für jedes Fahrzeug geeignet. Um Schlimmeres zu vermeiden, empfiehlt es sich, das Mobil weiter oben abzustellen.
Die angrenzenden Klippen sind rotbraun. Wir gehen auf das erste Felsentor zu. Der Gesteinsvorsprung ist massiv und reicht weit in den Atlantik. Der Durchgang sieht aus wie ein Mauseloch. Kaum sind wir durch die Gesteinsauswaschung hindurch, kommt der zweite Bogen in Sicht. Der ist noch imposanter – im Wasser steht nur noch eine Steinsäule, die den Vorsprung hält.
„Brrr!“ Abrupt werden wir ins Hier und Jetzt geholt. Unerwartet hat eine Brandungswelle Atlantikwasser ans Ufer und zwischen die Felsentore geschwemmt. Das kalte Wasser steht uns plötzlich bis zu den Knien und wir merken, wie die starke Strömung an unseren Beinen zerrt. Kein Wunder, dass hier vielerorts Schwimmen verboten ist.
Unser letzter Stopp auf der Suche nach Überwintern in Marokko führt uns in die ehemalige spanische Kolonie Sidi Ifni. Sie ist eine der letzten größeren Städte vor der Sahara. Die Küstenstadt versprüht maritimes Flair, viele Gebäude sind weiß-blau gestrichen. Im und rund um den kleinen Souk gibt es Restaurants. Wir entscheiden uns für eine Fisch-Tajine, typisch marokkanisch. In einem kegelförmigen Tongefäß wird eine Mischung aus Gemüse, Gewürzen und Fisch lange zu einem Eintopf gegart. Wieder lecker.
Sidi Ifni ist wunderbar zum Abschalten. Aus dem Norden führt die Straße runter ins Tal über eine Brücke und wieder hoch in den Stadtkern. Im Tal, hinter der Brücke rechts, geht es zu drei Campingplätzen. Fußläufig liegen hier Camping Sidi Ifni, Camping Solymar und Camping Gran Canaria nebeneinander.
Auf letzterem kommen wir ins Gespräch mit Bernard und Gisela Busboom. Am südlichsten Punkt treffen wir die Deutschen, die aus einem der nördlichsten Orte Deutschlands kommen: Leer in Ostfriesland. „Wir kommen jedes Jahr nach Sidi Ifni“, erzählt das Rentnerehepaar. „Hier unten im Süden ist es jetzt richtig warm.“ Sie haben gute Erfahrungen in Marokko gemacht und verstehen die Angst der Zuhausegebliebenen nicht.
Uns geht es ebenso: Marokko ist ein tolles Land mit freundlichen Menschen. Ja, es ist ein überwiegend muslimisches Land, mit anderen Sitten und Traditionen. Es wird viel Negatives erzählt, wirklich selbst erlebt haben nur wenige etwas. Gesa sagt: „Auch als blonde Europäerin habe ich mich hier nie unwohl gefühlt.“ Wenn Europa in der kalten Jahreszeit grau und kalt wird, lohnt sich ein Abstecher nach Nordafrika, besonders mit etwas Zeit im eigenen Mobil.
Diesen Winter sind die Busbooms drei Monate mit dem Reisemobil hier unterwegs. Vielleicht tun wir es ihnen später gleich, der nächste Winter kommt sicher.
Dieser Beitrag erschien erstmals in CamperVans-Ausgabe 1/2017.