> Praxistest: Ford Nugget mit Aufstelldach

Der mit dem L

23.06.2022

Der klassische Campingbus, auch Campervan genannt, ist rund fünf Meter lang, hat eine Klappbank zum Schlafen und seitlich einen Küchenblock mit Kocher, Spüle und Kühlbox. Der Ford Nugget mit Aufstelldach ist anders.

Er hat es nicht leicht. Der Ford Transit. Einerseits jahrelang ein synonym für robuste Technik, Langlebigkeit und Zuverlässigkeit aber doch noch immer mit dem Makel des dreckigen Handwerker-Vehikels versehen. Dem Transit fehlt der Promi-Bonus, der Kultstatus – zumindest in Deutschland. Es ist ein bisschen wie mit dem Statussymbol für alle kein Statussymbol brauchen. Wobei man jetzt nicht auf die Idee kommen sollte, der Nugget wäre ein Schnäppchen. Gut 15.000 Euro kommen auf den Grundpreis eines Ford Transit Custom oben drauf. Dieser fängt bei gut 39.000 Euro an und hört bei knapp 46.000 Euro auf – und natürlich gibt es auch bei Ford eine lange Liste mit Extras und Optionen.

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Die Basis: der Ford Transit Custom

Custom ist das Stichwort. Den Transit kennt jeder, schließlich rollt die Kiste inzwischen seit 55 Jahren vom Band, aktuell in der siebten Generation. Das viele Generationen kantige Nutzfahrzeug ist noch heute verantwortlich für die Misere, eigentlich zu unrecht. 2012 wurde die kleine Version, der Transit Custom vorgestellt. Mit deutlich mehr Design und Ausstattung kämpft dieser seither für etwas mehr Achtung im Segment der Kastenwagen. Ein kleiner Blick in die Zukunft: Bis in ungefähr zwei Jahren werden die Konkurrenten VW T6.1 Transporter und Ford Transit Custom aus dem gleichen Werk in der Türkei kommen. Der VW T7, welcher auch Basis für den California sein soll, kommt aber weiterhin aus Hannover.

Klein aber fein: In der Küche wird kein Platz verschwendet und man hat sogar noch brauchbare Arbeitsfläche.
 

Ford Nugget AD mit L-Küche im Heck

Eines wird den Nugget aber auch in Zukunft, selbst nach der konstruktiven Zusammenarbeit von Ford und VW, von den anderen unterscheiden: Der Grundriss. In der Kategorie der Kastenwagen ist eine L-Küche, oder überhaupt die Küche im Heck eher ungewöhnlich. Ich hatte das schon zwei Mal. Bei meinem Mitsubishi L300 und meinem ersten selbstausgebauten VW T4. Momentan gibt es außer dem Ford Nugget noch Campmobil Schwerin, die Reisemobil Manufaktur und den Reimo Multistyle die jeweils aus VW T6 die fest eingebaute Küche ins Heck verlagern. Wieso? Naja, in der kompakten Camper-Klasse steht der Alltagsnutzen immer ganz weit oben auf der Anforderungsliste und da wird einfach Wert auf einen klassischen Kofferraum gelegt.

Dabei geht das bei der Aufteilung des Nuggets eigentlich wunderbar. Im L hinter der Küche fast immer genügend Platz für Einkäufe und Getränkekisten und selbst an die Kühlbox kommt man einfacher als bei den meisten Längsküchen. Das Einzige was fehlt, ist die Option mit verschiebbarer Sitzbank und ausgebauter Bettverlängerung einen Schrank zu transportieren – aber wenn mit zwei Personen die Schlafsitzbank aus dem Nugget entfernt wurde, passt hinter die Fahrersitze sogar eine Europalette. Also doch multifunktional – trotz Heckküche.

Das Konzept: vorne wohnen, hinten kochen

Es soll aber auch diejenigen geben, die gar keinen so hohen Wert auf Transport und Multifunktion legen, sondern einfach einen kompakten Campervan fürs Campen, fürs Wohnen draussen in der Natur wollen. Da liegt nämlich die wahre Stärke des Nuggets. Vorne wohnen, hinten kochen – und zwar völlig unabhänging voneinander ohne sich gegenseitig im Weg zu sein. Wer jemals versucht hat, mit zwei kleinen Kindern – eifrig am Malen, weil draußen gerade Mistwetter – an einem seitlichen Küchenblock mehr als Dose Ravioli zu erwärmen, kennt die Schwierigkeiten. Mit Erwachsenen, viel Koordination und Arbeitsteilung geht es vielleicht noch, aber grundsätzlich ist gleichzeitiges, intensives Kochen und ein am Küchenblock eingehängter Tisch immer ein Problem.

Am großen, ausklappbaren Tisch können bis zu vier Personen sitzen. Während der Fahrt verschwindet er in der Seitenverkleidung.

Beim Nugget dagegen kann man völlig ungehindert wohnen und arbeiten trennen. In der Küche im Heck ist man vollkommen ungestört. Kein Tisch, keine Bank, nichts was einem den Zugang zu einem Schrank oder einer Schublade versperren könnte. Und dabei hat man sogar noch richtig viel Platz, jedenfalls gemessen an der Gesamtlänge des Fahrzeugs.

Im direkten Vergleich mit den Kastenwagen Sechsmeter-Klasse sind die auffälligsten Unterschiede die fehlende Nasszelle, die mit 40-Liter-Volumen kleinere, aber meist ausreichende Kompressor-Kühlbox und die mit je 42-Liter kleineren Tanks für Frisch und Abwasser. Auch das Thema Toilette ist beim Nugget ganz elegant gelöst: Ein extra großes Fach im Heckschrank, in dem so ein Teil hervorragend Platz findet, ist dafür vorgesehen. Der Platz für die Benutzung hinter der Küche ist zwar nicht gerade üppig, aber allemal besser als mitten im Fahrzeug zu „sitzen“, da immerhin noch ein bisschen Privatsphäre – außer man wird vom Aufstelldach aus beobachtet.

Die Schlafmöglichkeiten im Ford Nugget AD

Das Bett im Aufstelldach: Auf einem luftigen Leichtmetall- Rahmen mit Tellerfedern liegt eine relativ dünne, aber dennoch ganz bequeme Matratze. Dadurch, dass sich der Ford nach oben nicht so stark verjüngt, ist die Liegefläche mit 2,00 mal 1,40 Metern richtig schön groß. Drei Fenster sorgen für Licht und Durchzug, eine Open- Sky-Funktion für den Zeltbalg gibt es noch nicht.

Der Dachverschluss ist praktisch, die Schlaufe für kleine Leute auch.

Dafür gibt es zwei Schwanenhals-Leuchten, die zwar optisch schon ein bisschen in die Jahre gekommen sind, aber sich wohl bewährt haben. Die nächste Generation hat dann vermutlich eine integrierte USB 3.0-Ladebuchse, die kommt aber vermutlich erst, wenn USB-C-Standard ist oder Handys nur noch induktiv geladen werden. Aber daran erkennt man eben auch, der Nugget ist ein Klassiker, der funktioniert und bei Westfalia in Rheda-Wiedenbrück setzt man auf Bewährtes.

Im ersten Moment ist es vielleicht etwas ungewohnt mit den Füßen im Küchenschrank zu schlafen. Aber es funktioniert und der Platz ist bestens genutzt. Die Liegefläche unten ist allerdings relativ hart, ein Topper ist hier gegebenenfalls empfehlenswert.

Eine weitere ganz besondere Besonderheit ist natürlich der Umstand, dass man unten auf der zur Liegefläche umbaubaren Sitzbank mit den Füßen quasi im Küchenblock schläft. Das geht ganz gut, wobei man bei 1,90 Meter Liegelänge immer versucht ist mit den Zehen an den Installationen, wie zum Beispiel dem elektrischen Warmwasser-Boiler rumzuspielen. Ohne Topper ist die Bank auch relativ hart. Dafür lässt sich mit ein paar Tricks das Kopfteil leicht anheben ober komplett abwinkeln, damit eine gemütliche Lounge entsteht – perfekt für ein Frühstück im Bett, das Dank der Küche im Heck mühelos zubereitet werden kann, während der Schatz noch im Bett liegt.

Stauraum gibt es ja immer und überall zu wenig. Auch ein Nugget macht da keine Ausnahme – aber immerhin darf er noch 600 Kilogramm zuladen. Platz für sperrige Taschen findet man unter der Sitzbank, die Kleider passen ganz gut in den Heckschrank und alle Kochutensilien in den Küchenblock. Beim Platz fürs Sportgerät wird es schon schwierig, aber was liegt näher als an ein 4,97 Meter langes Auto noch eine Heckbox und einen Träger zu montieren – so sehen das auch ganz viele Nugget-Besitzer. Nugget und Heckbox findet man sehr häufig.

Üppiges Ausstattungsangebot

Das meiste an Technik findet im Bereich des Küchenblocks statt. Unter dem „Fußteil“ des Betts, also unten im Küchenblock, befinden sich die Wassertanks und der Gaskasten, der eine 2,75 Kilogramm-Gasflasche beherbergt. Der einzige Verbraucher hierfür ist der zweiflammige Dometic-Gaskocher. Die serienmäßige 3 kW-Standheizung wird mit Diesel betrieben und der gegen 667 Euro Aufpreis erhältliche 10 Liter Warmwasser-Boiler wird wahlweise mit 12 Volt von der Lichtmaschine, aus der Batterie oder 230 Volt aus der Steckdose betrieben.

Bei der Westfalia-Ausstattung ist schon fast alles serienmäßig an Bord, auf die paar Extras wie Licht-Paket, Dachträger und Markise sollte man aber auch nicht verzichten. Das der Ford kein schnödes Nutzfahrzeug mehr ist, sieht man auch beim Blick auf die Ausstattungsliste und die verfügbaren Extras und Assistenzsysteme.

Großes Acht- Zoll-Multifunktionsdisplay, Abstands- und Spurhalteassistent, aktiver Parkassistent der selbstständig ein- und ausparkt – da sind einige Funktionen verfügbar, da müssen selbst die Premium-Mitbewerber der Hut ziehen. Außer beim Fahrwerk, da ist der Ford noch immer mehr Transporter, aber auch da kann man entprechend nacharbeiten und mit absenkbarem Luftfahrwerk passt der Nugget sogar ins Parkhaus.

Der Nugget auf Transit Custom ist richtig schön geworden. Scharfe Kanten und Linien machen ihn zu einer echten Alternative - für all diejenigen die mehr Wert auf Platz zum Wohnen und Kochen im Campingbus legen.

Der Ford Nugget AD: Viel Gemütlichkeit im kleinen Campervan

Das Konzept, also der Grundriss, muss einem gefallen. Wer größeren Wert auf Gemütlichkeit beim Campen im kleinen Campervan legt, wird es lieben. Wie sehr einem der fehlende Platz unter der Bettverlängerung fehlt, muss man ausprobieren – diesen Platz kann ich mir allerdings relativ einfach mit einer Dach- oder Heckbox zurückholen, eine in jeder Sitation frei zugängige Küche im Fahrzeug ist da schwieriger zu schaffen. Nicht zu vergessen natürlich: Mit dem Ford kann man wachsen, schließlich gibt es drei verschiedene: Den kurzen mit Aufstelldach, den kurzen mit Hochdach und den 5,34 Meter langen Nugget Plus mit Hochdach – das Fahrzeug passt sich sozusagen der jeweiligen Lebenssituation an.

Fazit: Der Ford Nugget muss sich in diesem Fahrzeug- Segment auf keinen Fall verstecken. Vom Camper- Nutzwert liegt er vor California, Marco Polo, Campster, Crosscamp und Co. Auch als Alltagsfahrzeug ist er nicht schlechter, von den Sitzplätzen eher besser als die Mitbewerber. Die Preise sind auf den ersten Blick nicht gerade günstig, allerdings sieht es, wie bei den Mitbewerbern auch, auf dem Markt doch ein bisschen anders aus. Auch wenn die Nachfrage groß und das Angebot überschaubar ist wird mit Rabatten nicht gegeizt. Ausstattungsbereinigt liegt der Nugget aber immer ein paar tausend Euro unter der Konkurrenz – und wer das Gesparte ins Fahrzeug investiert, hat am Ende sogar mehr. www.westfalia-mobil.de

Infobox

Basisfahrzeug: Ford Transit Custom, 2,0-Liter-EcoBlue, 136 kW (185 PS), Sechsgang-Automatik
Maße und Massen: (L x B x H) 497 x 199 x 207 cm, Radstand: 293 cm. Masse im fahrbereiten Zustand: 2.411 kg, zulässige Gesamtmasse: 3.140 kg
Aufbau: Stahlblechkarosserie mit GfK-Aufstelldach, Alu-Rahmenfenster (Dach), Ausstellfenster mit Wärmeschutzverglasung (Basis). Dach, Wände und Boden isoliert.
Bett: unten aus Sitzgruppe 190 x 104 bis 126 cm, Dachbett 200 x 139 cm.
Füllmengen: Frisch-/Abwasser: 42+10 l/42 l innenliegend, Gas: 2,75 kg, Diesel 70 l, AdBlue 21 l
Serienausstattung: Klimaanlage, Tempomat, Alufelgen, 2 x 95 Ah Aufbaubatterie, Drehsitze, Kühlbox, Kocher, Außendusche, Dieselstandheizung
Sonderausstattung: Sitzheizung 699 €, Warmwasserboiler 667 €, Fliegenschutztür 419 €, Outdoorpaket (Stühle + Tisch) 499 €, Markise 890 €, LED-Lichtpaket 399 €.
Normverbrauch: 6,9 l/100 km
Grundpreis: 59.390 €

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