Luxus, das heißt für uns entspannt mit Richtgeschwindigkeit in Richtung Urlaub zuckeln. Sich morgens ohne große Umbauarbeiten den ersten Kaffee kochen zu können. Bequeme Betten und gut nutzbare Stauräume stehen ebenfalls weit oben auf der Wunschliste – Smart Home und Augmented Reality eher ganz unten. Zumindest bisher. Ob der neue Marco Polo, als Testwagen auch noch in einer besonders gut ausgestatteten AMG Line, an unseren Prioritäten rütteln kann? Das wollen wir auf einem klassischen Kurztrip in die Sextner Dolomiten herausfinden. Und damit genug der Herleitung. Versachlichen wir diesen Beitrag.
Komfortables Fahrgefühl im neuen Mercedes-Benz Marco Polo
Hinter dem Lenkrad sitzend lieferte schon die letzte Marco-Polo-Generation gute Argumente. Antriebsstrang und Fahrwerk boten kaum Anlass für Kritik. Die bereits seit 2022 erhältliche Vollluftfederung Airmatic zeigt sich im Vergleich zur konventionellen Stahlfeder durch einen etwas gediegeneren Federungskomfort, jedoch ohne, dass sich der im Urlaubsmodus knapp drei Tonnen schwere Benz übermäßig aufschaukeln oder ins Wanken geraten würde. Je nach Fahrsituation und Geschwindigkeit kann das Fahrzeug abgesenkt oder angehoben werden, beispielsweise um bei hohem Tempo etwas Sprit zu sparen. Camper profitieren vom Luftfahrwerk, das im Datenblatt des Testwagens mit 2.168 Euro vermerkt ist, sogar ganz besonders – dazu später mehr.
Hochwertige Sitze und modernisiertes Cockpit
An der leicht erhöhten Sitzposition hat sich nichts getan. Eine Änderung hatten die bequemen Pilotensessel mit gutem Seitenhalt aber auch nicht nötig. Ihr weiches Nappaleder kann höchstens entfernt mit den Nachrüst-Lösungen der meisten Kastenwagen verwandt sein. Aber natürlich dürfte das Gestühl kompakter bauen, damit das Drehen endlich leichter von der Hand geht. Wirklich neu ist der Armaturenträger. Er verliert den aus der Mode gekommenen Schwung, erhält schlankere Lüftungsdüsen, zwei 12,3 Zoll große Displays in Widescreen-Optik, eine 64-farbige Ambientebeleuchtung sowie höherwertigere Materialien – teilweise kommt aber immer noch hartes Plastik zum Einsatz. Und ausgerechnet mittig im Fahrersichtfeld, wo die beiden Armaturenbrett-Teile gestoßen werden, klafft ein unschöner Spalt inklusive Versatz und Grat – ein winziges Detail, das dem detailverliebten Premium-Kunden dennoch auffallen dürfte und den Eindruck über das ansonsten sehr gelungene, neue Cockpit minimal trübt.
Sehr gelungen? Dieses große Lob gibt’s, weil der neue Armaturenträger deutlich niedriger baut, was die Übersicht nach vorn nochmals verbessert. Der Fahrer hat stets alles im Blick – besser geht das nur noch mit einem Head-up-Display, auf das die V-Klasse leider verzichtet. Und so projiziert die optionale Augmented Reality-Erweiterung des Navis ihre richtungsweisenden Pfeile lediglich ins Kamerabild auf dem Infotainmentscreen. Hilfreich ist das trotzdem, gerade in Urlaubsorten, in denen man sich nicht auskennt. Gleiches gilt für die Assistenzsysteme, die beispielsweise die Spur und den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug feinfühlig halten – letzteres dank Navi-Daten sogar an Kreuzungen oder Kreiseln.
Intuitive Bedienung mit MBUX und digitalen Features
Mercedes-Benz hat es außerdem geschafft, die Flut an Funktionen und Informationen logisch ins hauseigene Multimediasystem MBUX zu sortieren. Mit einer Mischung aus haptischen Tasten, touch-sensitiven Feldern und einem kompetenten Sprachassistenten wird man nach kurzer Eingewöhnung fündig, bevor das alles zu sehr vom Wesentlichen ablenken würde: dem Fahren.
Starke Motorisierung mit sanfter Automatik
Auch mit der neuen Abgasnorm Euro 6e zeigt sich der Zweiliter-Vierzylinder stets souverän, zumal wir in der 237 PS starken Topversion unterwegs sind. Sein Charakter definiert aber vor allem das bärenstarke Drehmoment. Erfahrungsgemäß tut’s auch die nächstkleinere Leistungsstufe, als Handschalter lässt sich der Marco Polo hingegen nicht mehr konfigurieren. Mit dem Wandler dreht der OM 654 entspannte 1.500 Umdrehungen bei Tempo 130 in der neunten Fahrstufe, die Gangwechsel bis dahin passieren beinahe unbemerkt. Nur in der Kaltlaufphase agiert er etwas schroff, aber das ist Meckern auf hohem Niveau.
Flexible Sitzbank
Nichts zu meckern gibt’s bei der verschiebbaren Klappsitzbank im Fond des Mercedes-Benz Marco Polo: Das Komfortlevel rangiert auf dem von Einzelsitzen – mit Sitzwangen, die sich für mehr Seitenhalt aufblasen lassen. Langstrecke? Kein Problem. Auch weil nicht krampfhaft versucht wurde, auf 110 Zentimeter Breite einen dritten Gurtplatz unterzubringen. Fraglich nur, ob der Klappmechanismus (sowie die Schiebetür und die Heckklappe) wirklich elektrisch sein muss. Aber wir wollten ja objektiv bleiben beim Thema Luxus.
Digitalisierung
Und damit müssen wir ein zweites Mal auf die Airmatic zu sprechen kommen, die mit dem Facelift auch das Nivellieren des Marco Polo übernimmt. Höhenunterschiede von bis zu zwölf Zentimetern können nun ausgeglichen werden – ohne lästige, Stauraum fressende Auffahrkeile und bequem per Knopfdruck auf dem Multimediascreen.
Alles andere (Aufstelldach, Kühlbox, Standheizung, Licht und Soundsystem) lässt sich sogar per App steuern, plus die Füllstände (Bordbatterie und Wassertanks) überwachen. Wie gesagt: Wir waren immer der Meinung, das alles nicht zu brauchen. Und dann liegst du im Aufstelldach, fährst die Kühlbox runter und die Heizung hoch. Löscht das Licht dort, wo es nicht mehr benötigt wird. Zugegeben, an diese Form von Luxus könnten wir uns gewöhnen. Haben wir auch.
Grundriss, Verarbeitung und Stauraum
So viel zur Digitalisierung. Bleibt noch zu klären, wie gut der Marco Polo auch die klassischen Campervan-Disziplinen beherrscht. Schon seit 1996 setzt man beim Grundriss auf die bewährte Form mit fahrerseitiger Schrankzeile, in jeder Generation ein bisschen edler als zuvor und als das, was bei den meisten Mitbewerbern umgesetzt wird. Aktuell machen besonders die Blenden aus Alu-Sandwich und Glas sowie die eloxierten Griffleisten Eindruck. Softclose, eine klapperfreie Verarbeitung und perfekte Spaltmaße sind selbstverständlich.
Im deckenhohen Kleiderschrank, der Schublade in der Klappbank und im Dachstauschrank bringen zwei Personen locker ausreichend Bekleidung unter. Zu dritt oder viert muss natürlich sparsamer gepackt werden, auch wegen der textilen Transporttasche in der Heckgarage, die für Campingmöbel, Wasserschlauch und Stromkabel reserviert ist. Für zusätzliche Euroboxen oder eine Reisetasche ist der Kofferraum im Marco Polo nicht gedacht. Weil Technik und Wassertanks im schlechter zugänglichen Bereich der Schrankzeile unterkommen, bleibt jedoch der gesamte Küchenblock als Stauraum nutzbar. Wer will, bringt hier sogar eine Mini-Trenntoilette unter. Die Stauräume sind sinnvoll unterteilt und gut erreichbar, solange das untere Bett nicht gerade gebaut ist – also die Toilette vorher schon aus dem Schrank holen! 45 Zentimeter bleiben zwischen den gedrehten Sitzen und dem Bett, um sie zu stellen.
Schlafkomfort
Wenn nun noch die Luft aus den Sitzwangen gelassen wird, liegt sich die Bank auch überraschend bequem. Zumal mit dem Airmesh-Topper für 427 Euro und als Single wie im Test-Szenario. Trotzdem wäre das wirklich luxuriöse Dachbett unsere bevorzugte Schlafstätte. Zwar ist es auch nicht breiter, doch hier liegt die Matratze auf einer Unterkonstruktion aus Federtellern und Lattenrost. Westfalia befestigt den Bettrahmen mit Riemen an der Dachschale – trotz optional elektrohydraulischem Hebemechanismus bedarf es also einer gewissen Körpergröße, um die Konstruktion zu bedienen. Für Kinder hingegen lässt sich eine Absturzsicherung befestigen. Auch Schwanenhalslampen und USB-Steckdosen fehlen nicht.
Küche
Die Küchenausstattung punktet mit einem Zweiflammkocher, dessen elektrisch zündende Brenner mit ausreichend Abstand platziert wurden. Hier können auch größere Töpfe gleichzeitig befeuert werden. Auch deshalb ist die Spüle mit 25 Zentimeter Durchmesser vergleichsweise klein, die konkave Form im Allgemeinen etwas unpraktisch. Was Fingerabdrücke angeht, sind Arbeitsplatte und Abdeckung aus Glas zwar empfindlich, jedoch ebenso leicht zu reinigen. Die gefrierfähige Kühlbox nebenan ist als Toploader ohne Einhängekorb ausgeführt, sodass man immer ein wenig wühlen muss. Dafür ergänzt der Deckel den 52 mal 67 Zentimeter großen Tisch als Abstellfläche.
Ausgeschaltet wurde die Kühlbox nachts übrigens nicht, um Strom zu sparen – obwohl das bei einer Bordbatterie mit 95 Ah und AGM-Technik auch keine schlechte Idee ist. Es ist vielmehr so, dass sie ihre Arbeit nicht ganz lautlos verrichtet. Wer unten schläft, hört sogar das Kühlmittel plätschern, wenn der Kompressor abschaltet.
Fazit
Trotzdem kann man nicht behaupten, die Stuttgarter hätten den Blick fürs Wesentliche verloren, nur weil aktuell eher digitale Neuerungen fokussiert wurden. „Viel hilft viel“ gilt manchmal eben doch. Dass der Benz nichts für den kleinen Geldbeutel ist, muss aber auch klar sein.